👉 "Du stehst an einem Scheideweg und kannst dich nun entscheiden, ob du den Rollstuhl annimmst oder daran zerbrichst."
Boah, dummes Geschwätz von Theoretikern 🙄! Es ist ja nicht so das man jetzt sagt:
"Ich akzeptiere es, ich werde glücklich!" Und dann kommt die gute Fee 🧙🏼♀️ vorbei, wirbelt einem Zauberstaub um die Nase und der Drops ist gelutscht.
Vielmehr ist es ein Prozess des Lernens mit Erfolgen 👍 und Rückschlägen 👎, mit tollen Momenten und mit Momenten, die man am liebsten streichen möchte 🤢.
Bei mir war und ist es auch noch eine emotionale Achterbahnfahrt. Und die fahre ich auch heute noch:
Wenn es mir körperlich gut geht, erwische ich mich dabei zu denken "Komm, so schlimm ist es gar nicht.
Vielleicht brauchste den Rolli ja gar nicht."
Wenn es mir körperlich schlecht geht, gehen die Gedanken in die Richtung: "Ich verfluche Alles und Jeden!"
Wenn ich gut drauf bin ist es ok, wie es ist. Ich bin ich, basta.
Zieht mich eine depressive Phase gerade mal wieder runter, ist rein gar nichts ok und ich trauere der alten Zeit nach. Der Zeit, als die Hüfte & Co noch Hüfte & Co und nicht Baustelle war.
Körperlich schwankt es zwischen gut und bescheiden. Es hängt von vielen Faktoren ab und ist sehr wechselhaft.
👉 Aber nicht nur das physische Befinden spielt eine große Rolle. Auch das psychische Befinden ist nicht zu unterschätzen:
Wenn es mir psychisch gut geht, ist die Welt absolut in Ordnung 😊 für mich.
Wenn es mir psychisch schlecht geht, sieht es anders aus: Dann will ich mich verkrümeln. Ins Bett, Decke über den Kopf 🛌🏼 und nichts mehr mitbekommen von diesem Planeten 🌍. Ja, es ist Depression 😩.
Stimmungsschwankungen sind uncool weil sie dir den Tag vermießen können. Ich musste lernen damit umzugehen. Meine Freundin musste lernen, damit umzugehen. Wir haben es gemeinsam gelernt 👩🏼❤️💋👨🏽damit umzugehen.
👉 Du erreichst ein Ziel, eine Stelle, einen Ort, den du ohne Rollstuhl NICHT erreicht hättest. Doch jetzt bist du da 💪. An diesem Ort. Mit deinem Gefährt unter dem Allerwertesten. Du vergisst, ob es anstrengend war oder ob du sogar aus dem letzten Loch keuchst. Du bist da! Und das ist, was in diesem Moment zählt. Ohne Rollstuhl (jetzt wiederhole ich mich sehr bewusst!) wärst du -verdammt noch mal- NICHT HIER 💪 💪 🥇!
🦽💝 Er ist dir ein Hilfsmittel gewesen. Er ist ein Mittel zur Hilfe. Genau das will er sein. Nichts anderes.
🦽💝 Er will dich nicht runterziehen.
🦽💝 Er will dich nicht körperlich behindert aussehen lassen.
🦽💝 Er will dich nicht fertig machen.
Dein Rollstuhl ist für dich da gewesen 🤗, um diesen Ort zu erreichen. Gerade jetzt, in diesem Moment. Und genau das ist sein Job. Und den macht er gut. Heute, morgen, übermorgen, nächstes Jahr.
Wenn du dieses Gefühl das erste Mal hattest, bist du auf der Akzeptanzleiter 🪜 ein großes Stück weiter gekommen. Bei mir dauerte es, bis sich das Gefühl das erste Mal einstellte. Aber es lohnt, darauf zu warten.
👉 Nennen wir das Kind mal beim Namen:
Ich habe eine Gehbehinderung. Heißt jedoch, ich kann kurze Strecken noch laufen und auch stehen. Sieht jedoch ... scheiße aus! Ich habe mit Instabilität ab Hüfte abwärts zu kämpfen, was mir ein optisches Erscheinungsbild gibt, bei dem der Außenstehende denken könnte: "Boah, der hat aber gut einen im Tee!" Ja, so sieht es aus: Ich schwanke mal mehr, mal weniger, in alle Richtungen auf der Suche der Balance 🧟♂️. Zweitens tut es weh, wenn ich länger auf den Beinen bin.
Laufe ich los, oder auch mal einfach so beim Stehen, kann es sehr gut sein, dass meine Knie nachgeben und ich entweder einen Ausfallschritt mache den ich noch abfangen kann oder direkt auf den Knien lande. Platsch, hingeknallt 🍗. "Sturzgefährdet" in der Fachsprache. Ist mir schon peinlich wenn ich irgendwo fremd bin. In der Nachbarschaft und auf der Arbeit kennen mich die Leute und da gehe ich auch mal ein paar Meter zu Fuß. Knicke ich weg, ist es mir egal. Es stört sich auch niemand mehr daran. Auf der Arbeit reagiert schon niemand mehr, wenn ich mal einknickend hinter dem Schreibtisch verschwinde. Bin ja gleich wieder da. Das wissen die Kollegen. Es ist normal geworden und darüber bin ich sehr froh. Bin ich fremd, gucken einige schon wenn ich nach unten sacke oder nach Balance suche. Ich kann´s ja verstehen, dass es interessant ist da mal zu schauen 😏, doof ist trotzdem.
Long story short: Ich fühle mich auch unwohl, wenn ich Anderen, die kein Hintergrundwissen über mich haben, ein Bild abgebe, dass ich nicht abgeben möchte. Ja, das Lehrbuch spricht jetzt wieder... kann mir doch egal sein, was die Leute denken etc... ist es auch. Meistens. Manchmal. Hin und wieder. Manchmal aber auch gar nicht. Je nach innerer Stimmung.
Doch jetzt mal zurück zur Würde:
👉 Siehst du mich zB im Restaurant auf einem Stuhl sitzen oder auf einer Parkbank, einem Mäuerchen (ich ziehe gerne mal vom Rolli um), erkennst du nicht, dass ich einen GdB habe, der sich gewaschen hat. Siehste net. Keinen Meter. Ich sitze da einfach. Und genau deswegen fühle ich mich mit / im / Rollstuhl wohl und sicher. Ich schwanke nicht, ich vermitte nicht den Eindruck des schwankenden Kneipenbesuchers. Es tut weniger bis gar nicht weh in den Gelenken. Ich sitze aufrecht und... ja: Entspannt da.
Jetzt kommt wieder die Gegenargumentation: Optisch deutlicher zeigen, dass man eine Gehbehinderung 🧑🏼🦯 hat, wie mit Rollstuhl geht ja wohl nicht!? Stimmt. Mein Kopf (und jetzt kommt die Psyche ins Spiel) sagt mir jedoch, dass ich mich im Sitzen wohler fühle wie im Stehen. Ich sitze ganz normal da. Gerade, kontrolliert, wie alle anderen auch sitzen. Zweitens bin ich, wenn ich sitze, größtenteils beschwerde- sprich schmerzfrei bzw es ist sehr viel besser.
Würde ich stehen, sähe es optisch anders aus. Da würde ich schwanken und mein Kopf würde mir sagen, dass ich nicht glücklich bin in der Situation. Dann kommt neben den Schmerzen auch die Psyche negativ mit ins Spiel. Eine ungünstige Kombination, wie ich mittlerweile weiß. Diese Ausführungen sind für Außenstehende jetzt vielleicht nicht zu verstehen. Müssen sie auch nicht.
👉❗ Noch ein großer Vorteil (für mich) einen Rolli zu nutzen:
Arthrose ist ein ständiger Abrieb des Knochens der vorran schreitet. Genau wie Wasser, welches über einen Stein fließt. Die Reibung des Wassers lässt den Stein langsam kleiner werden und sich in der Form verändern. Genau so ist es bei mir und den Gelenken. Je mehr ich die Gelenke bewege, je mehr Abrieb gibt es, was die Situation nicht besser macht. Im Rolli den Tag verbringen heißt für Knie und Hüfte deutlich weniger Reibung in den Gelenken, was sie länger durchhalten lässt.
Bis ich diese ganzen Erkenntnisse hatte, dauerte es jedoch Jahre in denen ich sehr stark mit dem Thema Rollstuhl kämpfte.
Und teilweise kämpfe ich auch heute noch mit dem Thema. Aber zum Glück seltener.
Zusammenfassung
⇒ Den Rollstuhl erst einmal abzulehnen ist eine normale Reaktion.
⇒ Habe keine Angst, dich mit ihm das erste Mal in der Öffentlichkeit zu zeigen.
⇒ Gib dir Zeit und gewöhne dich langsam an deinen neuen Begleiter.
⇒ Um Hilfe zu fragen ist schwerer, als Hilfe zu geben. Trau dich!
⇒ Es wird der Moment kommen, in dem die Akzeptanz für den Rolli eintritt.
⇒ Klappt ein Fahrmanöver nicht auf Anhieb, gib nicht auf. Übung macht den Meister.
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